Bei vielen Innovationen haben die Menschen anfangs unterschätzt, wie sehr sie später die Welt verändern werden. 1990 glaubte etwa der Deutsche Telekom-Chef Ron Sommer, das Internet sei eine Spielerei für Computerfreaks und es gäbe keine Zukunft dafür. Im gleichen Stil äusserte sich der Ex-Microsoft Chef Steve Ballmer 2007 zum iPhone. Beide irrten bekanntlich. Sollte zutreffen, worin sich viele Analysten und Wirtschaftswissenschaftler weitgehend einig sind, ist die Blockchain ein ökonomischer Meilenstein mit weltweiten Auswirkungen. Neben dem bereits heute vorhandenen «Internet der Information» soll die Blockchain das «Internet der Dinge» schaffen. Nicht nur für die Finanzindustrie wären die Folgen fundamental. Die Idee eines dezentralen, unveränderbaren Datenregisters könnte ganze Unternehmenslandschaften auf den Kopf stellen.
Die Entstehung
Bereits im Jahr 1991 wurde von den Forschern Stuart Haber und W. Scott Stornetta erstmals die Blockchain-Technologie erfunden, als sie die erste Software programmierten, die digitale Dokumente mit Zeitstempeln versah. Erst mit Beginn von Bitcoin gelang der Blockchain der Durchbruch in der Öffentlichkeit. Das Konzept wurde 2008 in einem White Paper von Satoshi Nakamoto niedergeschrieben und ist öffentlich einsehbar. Darin beschreibt der bis heute unbekannte Autor das elektronische Zahlungssystem, das über zwei Netzwerke (Peer to Peer) mit den gleichen Rechten organisiert ist und ohne zentralen Intermediär auskommt. Das korrespondierende Bitcoin System wurde als Open Source Projekt Anfang 2009 veröffentlicht. In der Blockchain-Entwicklung hat die Schweiz in den letzten Jahren eine Vorreiterrolle übernommen. In der Schweiz und Liechtenstein sind in diesem Bereich bereits heute mehr als 6 000 Mitarbeitende beschäftigt. Im Jahr zuvor waren es noch rund 5 000. Gerade in der Gegend um Zug siedelten sich Schritt für Schritt immer mehr innovative Startups an und formierten sich zum sogenannten Crypto Valley.
Funktionsweise von Blockchain
Rein technisch betrachtet, ist die Blockchain eine verteilte Transaktionsdatenbank. Das Besondere ist ihr Aufbau. Sie wächst, indem sich ein digitaler Block an den anderen hängt. Damit hat jeder Block genau einen chronologischen Vorgänger und einen chronologischen Nachfolger. Mehr Verbindungen zwischen den Blocks gibt es nicht, die Verknüpfungen mit dem vorangegangenen und folgenden Block sind allerdings unlösbar. Aus dieser digitalen Verkettung entsteht eine Liste, die die Werte ihrer Benutzer sowie sämtliche abgespeicherten Datensätze zu jedem Zeitpunkt dokumentiert: ein globales Transaktionsregister.
Damit wird die Blockchain zu einem gewaltigen digitalen Datensatz, der chronologisch aktualisiert wird und Transferaktivitäten innerhalb eines Netzwerks von Teilnehmern, kryptographisch versiegelt, archiviert. Im Gegensatz zu herkömmlichen Datenbanken befindet sich die Blockchain dabei nicht auf einem einzelnen Server, sondern liegt in riesiger Zahl identisch vor. Alle Teilnehmer des Netzwerks (sogenannte «Nodes») besitzen eine vollständige, zu 100 Prozent identische Kopie der kompletten Blockchain in ihrem lokalen Speicher.
Die Hauptmerkmale der Technologie
• Ein unveränderliches Transaktionsregister ist das entscheidende Element jeder Blockchain.
• Alle Datensätze werden in einer dezentralen Datenbank gespeichert, die auf einer Anzahl von Rechnern (Nodes) im Netzwerk redundant gehalten wird.
• Das Transaktionsregister ist strikt additiv – nichts kann rückwirkend verändert oder entfernt werden. Das Register wächst also, während fortwährend neue Datensätze hinzugefügt werden.
• Bestimmte Verfahren stellen sicher, dass nur zulässige Datensätze akzeptiert werden und dass die gespeicherten Versionen der Datenbank auf allen Nodes identisch sind.
Anwendungsbeispiele
Vollständig ausgereift könnte die Blockchain mit den Eigenschaften betreffend Sicherheit, Authentizität, Privatsphäre und Zugänglichkeit einen revolutionären Fortschritt für viele Unternehmensbereiche und Branchen bedeuten. Insbesondere in Wirtschaftszweigen mit vielen Intermediären, da die Blockchain-Technologie die Möglichkeit bietet, Transaktionsregister fälschungssicher und ohne Bemühung zentraler Instanzen wie Zentralregistern, Grundbuchämtern und Notaren zu führen. So kann jede Form von Handel, der derzeit von Vermittlern ausgeführt wird, zu drastisch niedrigeren Transaktionskosten auf eine Blockchain-Plattform migriert werden. Gleiches gilt für Vermögensgegenstände, die sich eindeutig über eine Nummer identifizieren lassen.
Die Schweizer Plattform Cardossier, ein von privaten und öffentlichen Akteuren bevölkertes Ökosystem im Rechtskleid eines Vereins, sorgt beispielsweise für mehr Transparenz und Sicherheit beim Autokauf. Die digitale Plattform macht es möglich, den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuges, von der Herstellung bis zur Verschrottung, zu erfassen und den rund 20 Partnern im Verbund auf einer Blockchain zugänglich zu machen. Mit von der Partie sind gewichtige Branchenexponenten wie die Importeure AMAG und Emil Frey oder das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau. Die Blockchain-Technologie macht es möglich, alle Daten eines Fahrzeuges in einem einzelnen Register zu sammeln, das dezentral geführt wird, immer auf dem neusten Stand ist und ohne Autorisierung nicht verändert werden kann.
Das Technologie-Startup Adresta ist ein weiterer konkreter Blockchain-Anwendungsfall. Das Startup schreibt die Geschichte von Luxusuhren mit. Von der Produktion beim Hersteller, über den ersten Verkauf im Fachhandel, bis zu den Details von Service und Reparaturen oder den Weiterverkauf an einen neuen Besitzer. Damit bekommt ein hochwertiger Zeitmesser einen jederzeit überprüfbaren und soliden «Lebenslauf». Offene Fragen zur Herkunft, Weg und Geschichte gibt es danach nicht mehr. Was auf der Blockchain fälschungssicher vor Anker liegt, kann von den Beteiligten in direkt nutzbarer Form abgerufen werden. Für Uhrenhersteller und Fachhändler gibt es eine Weblösung, Uhrenbesitzer greifen über eine Smartphone App auf alle relevanten Daten ihres kostbaren Chronometers zu.
Wie die genannten Beispiele verdeutlichen gibt es viele Ansätze die Blockchain zu nutzen. Auch wenn das Potenzial von Blockchain basierten Lösungen zweifelsohne hoch ist, steckt die Technologie immer noch in den Kinderschuhen. Der Speicherbedarf verzweigter Blockchain Datenbanken ist zurzeit noch höher als bei zentralisierten Serversystemen und es mangelt aktuell noch an Standardisierung und Übersichtlichkeit. Darüber hinaus ist IT-Fachpersonal mit erforderlichen Blockchain Kenntnissen noch Mangelware auf dem Arbeitsmarkt. Keine dieser Hürden ist letztendlich unüberwindbar und in allen Bereichen entfaltet sich bereits eine Vielzahl von Aktivitäten, weshalb ich persönlich auch davon ausgehe, dass die Blockchain-Technologie in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein wird.
Es bleibt spannend, lassen Sie uns gemeinsam interessiert und offen in die Zukunft blicken.
Michael Küng
Kundenberater Zürich